www.lochner-fischer.de (aufgenommen am 08.03.1998)
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Musterreferat
von Monica Lochner-Fischer, MdL,
Landesvorsitzende der SPD-Frauen (AsF) Bayern
Vorsitzende des Arbeitskreises Frauenpolitik der SPD-Landtagsfraktion

Eigenständige Existenz sichern

Der Internationale Frauentag (8. März) ist inzwischen auch bei uns zu einem festen Bestandteil im Jahresablauf geworden. Im Gegensatz zum Muttertag ist der Internationale Frauentag kein Tag des Dankes, keine Reduktion der Frau auf die Mutterrolle, sondern ein Kampftag für Frauenrechte. Er ist seit 1911 der Tag der Frauen mit ihre Forderungen an Gesellschaft und Arbeitswelt. 1998, im Jahr der Rekordarbeitslosigkeit und des großen Sozialabbaus, im Jahr der vielen Frauengedenktage, ist der 8. März deshalb auch ein Tag der Bestandsaufnahme und der Bewußtmachung des heutigen Lebens von Frauen, das zwischen den großen Schlagzeilen erstickt wird. Der 8. März ist gerade heuer wieder ein Tag, an dem wir deutlich zeigen müssen, daß wir uns als Frauen nicht unterbuttern lassen.

Angesichts täglicher Horrormeldungen werden die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit und Sozialabbau auf Frauen - zum Teil gerne und bewußt - in den Hintergrund gedrängt. Es wird versucht, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die Arbeitsplatz- und Finanzprobleme auf Kosten und auf dem Rücken gerade von Frauen zu lösen. Für alles, was die Gesellschaft sich angeblich nicht mehr leisten kann, wird die Familie in Haftung genommen. Und wir wissen, wer in der Familie diejenige ist, die die Lasten zu tragen hat - ein Leben lang, denn die Folgewirkungen sind verheerend.

Zudem gibt es sozial absichernde, nach altem Muster voll funktionsfähige Familien nur noch zum Teil und meist nicht (mehr) auf Dauer. Dies wird schon deshalb gerne verschwiegen, damit nicht klar wird, daß die Abwälzungspolitik nicht nur aus frauenpolitischer Sicht untragbar ist. Die Antwort auf die soziale Lage der Frauen des Jahres 1998 kann daher nur die Forderung nach einer eigenständigen Existenzsicherung sein.

Diese betrifft im wesentlichen drei Bereiche:

1. Arbeitsplatz

Wir leben mit einer Rekordarbeitslosigkeit in noch nie dagewesener Höhe. In Bayern ist die Zahl der Arbeitslosen vom Mai 1993 (289.303) bis zum Januar 1998 (512,048) um 77 Prozent gestiegen! Etwa die Hälfte der Arbeitslosen sind Frauen, obwohl diese eine wesentlich geringere Erwerbsquote als Männer haben. Konkret heißt das: Die tatsächliche Frauenarbeitslosigkeit liegt rund 30 % über der von Männern. Wenn wir nicht die Menschen, sondern die Arbeitsstunden zählen, ist das Mißverhältnis noch deutlicher. Der Grund ist, daß über ein Viertel der Frauen in (noch) sozialversicherungspflichtiger Teilzeit arbeiten. Frauenpolitik bedeutet daher ganz eindeutig: Kampf der Arbeitslosigkeit! Politik muß ausgerichtet sein auf die Schaffung von neuen, sozial gesicherten Arbeitsplätzen.

Zynisch muten die rechnerisch richtigen Meldungen an, daß in den letzten Jahren mehr Frauen als Männer wieder einen Arbeitsplatz erhalten haben. Dies war und ist nur möglich, weil vor allem Frauenarbeitsplätze in immer kleinere, zum Teil versicherungsfreie Häppchen zerstückelt werden. Der Trend, Vollzeitarbeitsplätze in 620-DM-Jobs umzuwandeln blüht erst jetzt so richtig auf. Aus der Ausnahme wird die Regel. Ganze Firmen werden entsprechend umstrukturiert. So sind z. B. bereits 60 Prozent der REWE-Beschäftigten 620-DM-Job-Arbeitskräfte. Bei Wertkauf konnte mit dieser Politik der Personalkostenanteil auf 9 % gedrückt werden. Ein derart niedriger Anteil ist normalerweise nur im hochtechnisierten Bereich, wie z. B. Maschinenbau, möglich. Selbst Automobilfirmen mit Roboterstraßen und Computerfertigung liegen bei einem Personalkostenanteil von 16 % bis 21 %. Ein derart niedriger Personalkostenanteil führt jegliche Diskussion über die vermeintlich hohen Lohnnebenkosten ad absurdum. Deren Entlastung um 1 % bis 2 % sind prozentual überhaupt nicht mehr meßbar.

Für die Frauen hat diese Teilung ihrer Arbeitsplätze sowohl individuell als auch gesellschaftlich unakzeptable Folgen. Viele Frauen müssen jedoch diese Art von Jobs annehmen, weil sie keine Alternative haben. Andere verteidigen das jetzige System der ungeschützten und versicherungsfreien Jobs, weil sie dieses Geld hier und heute dringend benötigen. Deshalb schieben sie die persönlichen Langzeitfolgen ebenso weg, wie die ungerechten Auswirkungen auf andere Frauen oder auf das Sozialsystem. Die Motive sind persönlich höchst verständlich, können gesellschaftlich jedoch nicht hingenommen werden. Eine ähnliche Schieflage gab es 1910 auch bei der Frage der Abschaffung der Kinderarbeit in den Kohlengruben und 1928 bei der Gewerkschaftsforderung nach Arbeitsverbot für Kinder unter 14 Jahre.

Aus gesellschaftlicher und auch aus der Verantwortung den betroffenen Frauen gegenüber müssen wir die Sozialversicherungspflicht für jegliche Art von Beschäftigung fordern. Mit den 620-DM-Jobs in der jetzigen Form muß Schluß sein. Auch gering Verdienende haben ein Recht auf versicherungs- und arbeitsrechtlichen Schutz. Dieser Kampf der Frauen ist auch ein Kampf für die Männer - nur diese sehen dies leider immer noch nicht ein. Die immer größer werdende Zahl von ungeschützen Arbeitsverhältnissen vernichtet Normalarbeitsplätze und erhöht den Druck, Schutzrechte preis zu geben. Frauen werden derzeit - wie schon oft in der Geschichte - dazu benutzt, bereits erreiche soziale und arbeitsrechtliche Errungenschaften auszuhebeln. Wir müssen diesen Versuchen entschieden entgegentreten.

Was wir statt dessen brauchen sind mehr und neue, sozial gesicherte Arbeitsplätze. Arbeitsplätze schaffen durch gerechte Verteilung der Arbeitszeit. Konkret heißt dies: Arbeitszeitverkürzung für alle Bereiche. Rücknahme der Maßnahmen zur Arbeitszeitverlängerung. Dazu gehören z. B. die Ausweitung der Lebensarbeitszeit durch Erhöhung des Rentenalters, die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst u.ä. Statt die Arbeitszeit gerecht zu verteilen, wurde sie in den letzten drei Jahren für die Arbeitenden um 10 % erhöht. Ältere Frauen müssen weiter zur Arbeit gehen, junge Frauen stehen dafür auf der Straße. Das kann nicht hingenommen werden.

Gesamtgesellschaftlich gesehen haben wir bereits eine drastische Arbeitszeitverkürzung, die jedoch höchst ungerecht verteilt ist. Die einen, nämlich die Arbeitslosen, haben eine Null-Arbeitszeit, während die anderen immer mehr und immer länger arbeiten müssen. In diesen Bereich gehören auch die rund 300 Millionen Überstunden alleine in Bayern. Würden diese nur halbiert, so könnten daraus 50.000 Vollzeitstellen oder 75.000 Teilzeitarbeitsplätze entstehen.

Durch eine offensive Arbeitsmarktpolitik des Freistaats und des Bundes könnten Hunderttausende von Arbeitsplätzen in der Privatwirtschaft entstehen. Statt jedoch z. B. dringend notwendige Baumaßnahmen, Modernisierungen etc. endlich durchzuführen, wird das dafür vorhandene Geld in bayerischen Ministerien gebunkert (Überschüsse allein 1996 in diesem Bereich: eine halbe Milliarde DM) oder auf dem Kapitalmarkt angelegt (1,3 Milliarden DM). Mit den Zinsen aus letzterem wurden dann im letzten Jahr kleinere Projekte finanziert. Dies sind Konzepte für die Hochkonjunktur und taugen nicht zur Bekämpfung einer Rekordarbeitslosigkeit.

An dieser Stelle aber auch ganz deutlich: Es kann nicht nur darum gehen, daß sich Frauen untereinander oder Frauen gegen Männer um die wenigen Arbeitsplätze streiten: Wir können uns nicht mit der quotierten Ungerechtigkeit zufrieden geben. Sondern es geht vielmehr darum, daß Frauen und Männer gemeinsam für mehr Arbeitsplätze kämpfen. Wir dürfen uns nicht spalten lassen in Arbeitende und Arbeitslose, gesicherte und ungesicherte Arbeitsverhältnisse, in Angestellte, Arbeiter und Beamte oder in Männer und Frauen. Wir müssen alle am gleichen Strang ziehen, nur dann haben wir eine Chance. Und es ist unsere Aufgabe als Frauen darauf aufzupassen, daß wir nicht nur in diesem Kampf, sondern auch bei der Verteilung des Erreichten gleichberechtigt beteiligt werden. Wir kämpfen für mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze - und die Hälfte davon gehört uns Frauen!

2. Einkommen

Die Forderung "Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit" ist leider stark in den Hintergrund getreten. Die Arbeitslosigkeit überschattet alles derart, daß viele glauben, diese Forderung sei unzeitgemäß. Doch sie ist und muß ein zentrales Anliegen von Frauen bleiben. Denn von dem, was Frauen in unserem Land heute verdienen, ist es äußerst schwierig - manchmal ohne staatliche Hilfe oder Lebenspartner unmöglich -, über die Runden zu kommen. 28,1 %, also fast jede dritte vollzeitbeschäftigte Frau in Bayern verdient unter 2400 DM brutto im Monat! Arbeiterinnen verdienen etwa ein Viertel und Angestellte etwa ein Drittel weniger als ihre männlichen Kollegen. Einschlägige Untersuchungen z. B. der Gewerkschaft HBV stützen diese Zahlen des Ministeriums. Die HBV hat enorme Gehaltsdifferenzen im Bankenbereich festgestellt, obwohl die Frauen im Schnitt von der Bildung und Ausbildung her mindestens gleich, in einigen Bereichen sogar höher qualifiziert waren als ihre männlichen Kollegen. Erschwerend kommt hinzu, daß Frauen überwiegend auch noch in jenen Branchen beschäftigt sind, in denen insgesamt weniger bezahlt wird. Bei derartigen Gehältern kommen selbst besserverdienende Frauen in finanzielle Schwierigkeiten, wenn sie auf Teilzeitarbeit umsteigen (müssen). Nach hundert Jahren wird es Zeit, die Forderung der Frauen nach "gleichem Lohn für gleiche Arbeit" endlich in die Tat umzusetzen.

Vor diesem Hintergrund erhält die gesetzliche Kürzung der Lohnfortzahlung auf 80% einen besonderen frauenspezifischen Aspekt. Zusätzlich zu den geringeren Löhnen ist der größere Anteil von Frauen in tariflich nicht gebundenen Betrieben beschäftigt. Dadurch wirkt das Bundesgesetz. Es war ein großer Erfolg der Gewerkschaften, daß dieses durch Tarifverträge außer Kraft gesetzt werden konnte. Nur den meisten Frauen nützt dies nichts. Für sie muß das Bundesgesetz wieder geändert werden.

In dem Zusammenhang ist es auch wichtig zu wissen, daß die Aufhebung des Kündigungsschutzes in Betrieben unter zehn Beschäftigten wiederum überwiegend Frauen trifft. 80 % der Betriebe in Bayern gehören in diesen Bereich. Der Druck auf Frauen wächst, die Angst von Frauen wächst. In dieser Angst nehmen sie fast jedes Unrecht in Kauf. Deshalb muß der Kündigungsschutz wieder eingeführt werden.

Auch zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist es nötig, die Forderung "Gleiches Geld für gleichwertige Arbeit" wieder laut auszusprechen und durchzusetzen. Die Kürzung der Lohnfortzahlung muß zurückgenommen und untere und mittlere Einkommen müssen steuerlich entlastet werden.

3. Alterssicherung

Bei der Alterssicherung von Frauen wird es ausgesprochen makaber. Generell kann heute gesagt werden: Nur die Frau, die einen toten Ehemann vorweisen kann, kann einigermaßen von der Rente leben. Die Fakten sind erschreckend: Über ein Viertel der heute über 65jährigen Frauen in Bayern leben trotz der Witwenrente unterhalb der Armutsgrenze (DGB-Studie). Nur 13 % aller Frauen erreichen die vollen mindestens 40 Versicherungsjahre die bei Männern üblich sind. Aber aufgrund des wesentlich geringeren Durchschnittsverdienstes von Frauen liegt auch hier die Durchschnittsrente von 1800 DM weit hinter der von Männern. Rund 25 % der Frauen haben im Schnitt 15 bis 20 Versicherungsjahre und kommen damit auf eine Rente von 426 DM im Monat. Der Gesamtdurchschnitt für eine eigenständige Rente von Frauen liegt derzeit bei 860 DM. Angesichts dieser Zahlen ist eine Senkung der Renten von 70 % auf 64 % an Frauenfeindlichkeit nicht zu überbieten. Die sogenannte Rentenreform 98 ist sofort wieder zurück zu nehmen. Nach der Bundestagswahl wird die SPD dieses Gesetz der Ungerechtigkeiten außer Kraft setzen.

Das Problem der Alterssicherung von Frauen ist jedoch nicht hauptsächlich eine Frage der Prozente, sondern der Versicherungsjahre. Zigtausende von Frauen haben ihr Leben lang gearbeitet, allerdings versicherungsfrei. Eine Änderung ist hier nur möglich, wenn a) alle Beschäftigungsverhältnisse versicherungspflichtig werden; b) auch Scheinselbständige in die Versicherungspflicht einbezogen werden; c) die von Frauen unentgeltlich geleistete gesellschaftliche Familienarbeit (Kinder, Pflege) angemessen in der Rentenversicherung berücksichtigt wird. und d) gleiches Geld für gleichwertige Arbeit und damit entsprechende Rentenbeiträge bezahlt werden.

Menschenwürde sichern

Eine eigenständige Sicherung der Existenz von Frauen ist überfällig und dringend nötig. Diese muß für jedes Alter gelten. Ein Arbeitsplatz, genügendes Einkommen und eine ausreichende soziale Sicherung ohne Angst vor Armut, dem Gang zum Sozialamt oder zum Arbeitsamt sind auch eine Frage der Menschenwürde. Diese Menschenwürde wird aufs Gröbste verletzt,

  • wenn Frauen auf dem Arbeitsmarkt trotz wesentlich besserer Bildungs- und Berufsabschlüsse immer noch wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden;
  • wenn Frauen für die Tatsache, daß sie Kinder bekommen können bzw., daß sie für diese Gesellschaft Kinder aufziehen eben von dieser Gesellschaft ein Leben lang bestraft werden;
  • wenn Menschen gezwungen werden, eine Ehe nur deshalb aufrecht zu erhalten, weil sie einzeln nicht lebensfähig wären;

  • wenn Frauen im Alter auf die Rente eines toten Ehemanns angewiesen sind!

Wir brauchen eine eigenständige Existenzsicherung für Frauen in deren eigenem und im Interesse der Gesellschaft. Frauen dürfen sich nicht mehr alles gefallen lassen, dürfen nicht mehr so duldsam sein. Wir Frauen müssen anfangen zu schreien:

  • wir wollen gleich bezahlt werden;
  • wir wollen sozial abgesichert sein;
  • wir wollen selbstbestimmt leben;
  • wir wollen die gleichberechtigte Teilhabe in der Politik, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft
  • und wir wollen ein Recht aus Arbeit und Einkommen!



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