www.lochner-fischer.de (aufgenommen am 06.10.2005)
Zum Archiv Frauenpolitik Archiv Frauenpolitik
 
 

Renate Schmidt am 4. Oktober 2005 in der Financial Times Deutschland

"Alice Schwarzer irrt"

Namensbeitrag von Renate Schmidt, MdB

"Angela Merkel unterstützen, nur weil sie eine Frau ist? Ganz offensichtlich hat das den Wählerinnen am 18. September nicht eingeleuchtet. Befragungen am Wahltag haben ergeben, dass nur 35 Prozent von ihnen für die Kandidatin waren - sogar noch drei Prozent weniger als 2002 für Edmund Stoiber. Und das aus gutem Grund: Frauen- und familienpolitisch setzt das Unionsprogramm auf Konzepte von gestern. Nein, Frau Merkel war eindeutig nicht die erste Wahl der Frauen in Deutschland.

Da half es auch nichts, dass sich Deutschlands bekannteste Feministin mit missionarischem Eifer, gepaart mit biologistischen Argumenten, für die Kandidatin stark machte. Selbst jetzt, nach der Wahl, fragt Alice Schwarzer nicht nach dem politischen Programm. Ihr gebetsmühlenartig wiederholtes 70er-Jahre-Dogma, dass Frauen nur adäquat durch eine Frau vertreten werden könnten, ist in seiner Schlichtheit lange überholt und wird gerade von jüngeren Frauen nicht anerkannt.

Frauen erwarten von ihren politischen Repräsentanten und Repräsentantinnen mehr, als nur das gleiche Geschlecht zu haben. Sie erwarten - völlig zu Recht - ein entschiedenes Eintreten für ihre Belange und Interessen. Frau Merkel bietet der neuen, selbstbewussten Frauengeneration zu wenig Programm für deren Lebenswünsche. Sie wurde nicht gewählt, weil sie eine Frau ist, sondern obwohl sie eine Frau ist. Ihr Programm hat die Frauen enttäuscht. Deshalb wollten sie keine Kanzlerin Merkel. Niemand spricht Frau Merkel politische Fähigkeiten ab. Die deutliche Mehrheit in Deutschland lehnt aber das von ihr allein zu verantwortende Programm ab. Und ausschließlich darauf beruht die Ablehnung der Kanzlerin Merkel. Und nicht, wie uns von mehr oder weniger prominenten Unterstützerinnen weisgemacht werden soll, auf ihrem Geschlecht.

Frau Merkel hat viel zu wenig Engagement für die Probleme gezeigt, mit denen sich Frauen heute herumzuschlagen haben. Viele Frauen - und das ist auch ein Verdienst der Frauenbewegung und damit auch von Alice Schwarzer - sind gut ausgebildet und wollen beruflich erfolgreich sein. In vielen Fällen ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eines ihrer dringendsten Probleme - weshalb es auch das wohl wichtigste Thema der Gleichstellungspolitik ist.

Frauen wollen eine Vertretung, die sich für sie stark macht in der Regierung, die ihre Anliegen durchsetzt und die dafür starke Partner in der Gesellschaft gewinnt. Die Aufgaben sind bekannt: Es geht um verlässliche Angebote, damit sich die Perspektiven im Beruf mit dem Wunsch nach Kindern vereinbaren lassen, es geht darum, auch die Männer zu bewegen, einen aktiven Part in der Familie zu übernehmen - Frauen wollen nicht allein für die Kinder zuständig sein und Männer wollen diese Rollenteilung auch immer weniger. Es geht um die Arbeitsbedingungen und die Chancen im Beruf.

Das gesellschaftlich breit unterstützte Elterngeld muss auf die Agenda der neuen Koalition, gute Förder- und Betreuungsangebote für die Kleinsten bis zu den Schulkindern (unterstützt auch durch Gesetzgebungskompetenzen des Bundes), die konkrete Zusammenarbeit mit der Wirtschaft für mehr Chancen von Frauen und für mehr Familienfreundlichkeit, die finanzielle Entlastung von Familien zum Beispiel bei den Kosten für Kinderbetreuung und die wirksame Unterstützung von Müttern und Vätern mit kleinen Einkommen, damit die Zahl der Kinder, die Sozialhilfe beziehen kleiner wird.

Das sind die Ziele, an denen sich die künftige Regierung messen lassen muss, wenn es um die Frauen und Kinder in Deutschland geht. Dazu wollen gerade die jüngeren Frauen Aussagen hören und sie wollen die Gewissheit, dass sich die Regierenden darum kümmern. Das ist der Grund, weshalb nur gut 20 Prozent der bis 35jährigen Frauen die Union gewählt haben. Sie wollen Lösungen für ihre aktuellen Probleme. Es geht um das Stärken ihrer Themen und des dafür zuständigen Ressorts - und damit um mehr Kompetenzen für das Familien- und Frauenministerium. Partner aus Wirtschaft und Gesellschaft müssen für die Umsetzung der Lebenspläne der Frauen mit ins Boot und ein entsprechendes Signal muss weiter aus dem Kanzleramt kommen - wie es bei Gerhard Schröder deutlich geschehen ist. Daran messen die Frauen den Erfolg einer Regierung.

Engagement ist gefragt, wenn wir den Menschen Mut machen wollen, ihre Zukunftspläne zu schmieden und auch ihre Kinderwünsche zu realisieren - die mehr als zwei Drittel aller Frauen haben. Wenn Frau Merkel all das nicht erkennt oder all dem zu wenig Bedeutung beimisst, werden die Frauen ihr auch weiterhin kein Vertrauen schenken. Aber Frauen dürfen hoffen. Bei den anstehenden Verhandlungen werden ihre Anliegen nicht unter "ferner liefen" rangieren, dafür werden wir sorgen."


wieder nach oben