Es liegt am System:
Gegen den Straßenbau müssen die Kindergärten immer verlieren
Wenn ein Gemeinderat oder ein Stadtrat sich wahlweise für den Bau einer Straße oder für den Bau eines Kindergartens entscheiden muß, wird er sich immer einstimmig für die Straße entscheiden. Schuld daran ist das Fördersystem. Solange dieses System nicht geändert wird, werden die Kindergärten immer gegen den Straßenbau verlieren.
Die Diskussion um das Recht auf einen Kindergartenplatz ist sehr lebendig. Immer wird darauf hingewiesen, daß es nicht möglich sei, das Recht auf einen Kindergartenplatz zu verwirklichen, weil die finanziellen Mittel dazu fehlen. Ist es wirklich so? Warum ist es einfacher, Straßen zu bauen anstelle von Kindergärten? Es liegt am Fördersystem. Deshalb war dies so, ist dies so und wird auch künftig so sein - außer das System wird geändert.
Geld kann nur einmal ausgegeben werden. So sagen es zumindest viele. Und weil dies so ist, müssen Prioritäten gesetzt werden. Welche Prioritäten? Warum entscheidet sich ein Stadt- oder Gemeinderat für den Bau von Straßen anstelle von Kindergärten und zwar sogar einstimmig? Wie kann dies in einer "kinderfreundlichen" Gesellschaft geschehen?
Eine einfache Gegenüberstellung belegt, was geschieht. Zur Diskussion steht im Zusammenhang mit der Finanzplanung und dem gemeindlichen Investitionsprogramm eine Investition von 3 Millionen Mark Kosten. Für welches Projekt entscheidet sich ein Gemeinderat, ein Stadtrat? Warum entscheidet er sich für die Straße? Die Rechnung zeigt:
1. Straßenbau: 77 Prozent tatsächlicher Zuschuß
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Es besteht die Möglichkeit - so sieht es das Investitionsprogramm vor - eine 8 Kilometer lange Gemeindeverbindungsstraße zwischen Riedheim und Tannenau zu bauen. 5,5 Meter breit soll die Straße werden. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 3 Millionen Mark, wovon 2,9 Millionen Mark zuschußfähig sind. Der notwendige Grunderwerb - pro Quadratmeter 30 Mark - ist in den Gesamtkosten enthalten.
Insgesamt liegt also eine sehr gute und günstige Entscheidungsgrundlage für den Stadtrat oder den Gemeinderat vor. Der Bau der Straße wird mit tatsächlich 77 Prozent bezuschußt.
2. Neubau eines Kindergartens: 19 Prozent tatsächlicher Zuschuß
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100 Kindergartenplätze müssen geschaffen werden, weil auf Grund der enormen Siedlungstätigkeit der jetzige Kindergarten aus allen Nähten platzt. Die Warteliste ist sehr lang. Ein Neubau ist dringend notwendig.
Der viergruppige Kindergarten kostet - so die Schätzung des Architekten - 3 Millionen Mark. Wie wird er finanziert? Zuschußfähig bei einem viergruppigen Kindergarten sind 454 Quadratmeter Hauptnutzungsfläche mit einem Quadratmeter-Pauschalbetrag von 5 350 Mark. Dies ergibt eine Gesamtsumme von 2 428 000 Mark. Hiervon sind 80 Prozent - also 1,94 Millionen Mark - zuschußfähig. Bei einem angenommenen 40-prozentigen Zuschuß erhält die Gemeinde oder die Stadt für ihr 3-Millionen-Mark-Projekt einen Zuschuß von 770 000 Mark.
Sicher nicht positiv für die Entscheidung wirkt sich dabei aus, daß die Gemeinde die Zuschüsse vier oder fünf Jahre vorfinanzieren und warten muß. Diese Zuschußsumme von angenommenen 770 000 Mark, die etwa bei einem Zinssatz von 6 Prozent über vier Jahre vorfinanziert werden müssen, reduziert sich durch die Zinsen nochmals um weitere 190 000 Mark. Der Bau des Kindergartens wird also mit tatsächlich 19 Prozent bezuschußt.
Bei den Grundstückskosten ist anzumerken, daß in dem Quadratmeter-Pauschalpreis von 5 350 Mark die Grundstückskosten enthalten sind - gleich, ob der Quadratmeter nun 20 oder 100 Mark gekostet hat.
Das Ergebnis der "Prioritäten-Setzung" kann deshalb nur sein: Der Gemeinde- oder Stadtrat wird sich einstimmig für den Bau der Straße entscheiden.
Die Ursache dafür liegt im System.
(spk kNr. 10, 10. März 1995/bm)