Bayerische Staatszeitung, Freitag, 11. Februar 2000
SPD-Anhörung zum Sorgerecht
Die Leidtragenden sind die Kinder
Fachleute fordern Novellierung des Kindschaftsrechts
In einer spannenden Anhörung der SPD-Fraktion mit über 30 Fachleuten zum "gemeinsamen Sorgerecht" der Eltern nach der Scheidung kristallisierte sich trotz differenzierter Beurteilungen einhellig die Forderung nach einer Novellierung des Bundesgesetzes zum Kindschaftsrecht heraus. Die Hauptintention des seit dem l. Juli 1998 geltenden Gesetzes, die Position des Kindes inmitten der Auseinandersetzungen der Eltern nachhaltig zu stärken und ihm das Recht auf beide Elternteile einzuräumen, ist nach Überzeugung der meisten Teilnehmerinnen - Männer waren nur vereinzelt anwesend - nicht erreicht worden.
Hinsichtlich von angedachten Gesetzesänderungen wäre es wünschenswert, so ein vielfach geäußerter Wunsch, wenn im Zuge der Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge die Eltern - ähnlich wie hinsichtlich anderer Scheidungsfolgen - mehr oder weniger gezwungen würden, zum Scheidungstermin eine praktikable Elternvereinbarung und einen Sorgeplan vorzulegen. Damit würde von Anfang an für die nicht mehr zusammenlebenden Eltern eine konkrete Basis geschaffen, die auch für die älter werdenden Kinder zu einer Vereinbarung werden könnte, an der sie sich orientieren könnten.
Die mangelhafte Umsetzung und die zu ungenaue Fassung des Gesetzes ließen die Kinder immer mehr zum Spielball zwischen den Parteien werden, meinen die beiden Fachanwältinnen für Familienrecht, Renate Maltry und Dr. Barbara Schiebel. Auch der Deutsche Juristinnenbund stellt fest, die Position des Kindes inmitten der Auseinandersetzungen der Eltern sei nach bisher vorliegenden Erkenntnissen nicht gestärkt. Gestärkt worden seien nur die Väterrechte.
"Damit wurde der Nährboden der Auseinandersetzung der Eltern im Paarkonflikt auf der Elternebene geschaffen", so Christa Weigl-Schneider. Leidtragende seien die Kinder, die den Streit der Eltern um alles, was sie anbelangt, miterleben und. miterfahren müssten und sich selbst die Schuld für den Elternstreit gäben. Die per Gesetz als Regelfall vorgesehene gemeinsame elterliche Sorge wirke sich so nicht zur Stärkung der Kinderposition aus, sondern bedeute vielmehr eine Schwächung.
Rechtsanwalt Klaus Warnecke bescheinigt der Neuregelung der elterlichen Sorge nach der Scheidung "wenig substantielle Neuerungen". Nach wie vor haben nach seinen Erfahrungen etwa ein Drittel der Väter null Interesse an den Kindern, ein Drittel haben wenig Interesse und nur ein Drittel streben intensiven Umgang an, was gelegentlich zu Konflikten führe. Das sei vor dem l. Juli 1998 schon so gewesen und habe sich seitdem nicht geändert. Wenn sich "die Vaterrolle in den letzten 30 Jahren familial öffnete", hat das nach Warneckes Überzeugung weniger mit dem BGB zu tun, als vielmehr mit der Folge von sozio-kulturellen und ökonomischen Prozessen.
Abgesehen von der zunächst mal psycho-sozialen Erleichterung der Frau angesichts der Trennung vom Mann trifft die Frau mit Kind die Doppelbelastung von Beruf und Kindererziehung nach einhelliger Meinung im Regelfall viel härter, als die Verpflichtung zur Unterhaltszahlung den Mann. Und der erpresse dann die Mutter auch noch damit, auf Unterhalt oder Zugewinnausgleich ganz oder teilweise zu verzichten, damit sie das alleinige Sorgerecht bekommt. Darum kämpfen insbesondere Frauen von gewalttätigen Männern.
Das Kinderschutzzentrum München und Hilfsorganisationen wie pro familia, das Evangelische Beratungszentrum München oder der Allgemeine Sozial-Dienst sehen sich an der Grenze ihrer Kapazitäten: immer mehr Beratungsfälle von immer längerer Dauer zum Hauptthema "Umgangsregelung", und das bei gleicher personeller Besetzung.
Die Diskrepanz in der Gesetzgebung hat Monica Lochner-Fischer, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, schon während der Koalitionsberatungen ausgemacht. Auch Hanna Wolf, SPD-Bundestagsabgeordnete, sieht sich bestätigt. Sie hatte sich bei der Verabschiedung des Gesetzes der Stimme enthalten und hofft jetzt auf Verbesserungen bei den bevorstehenden Koalitionsgesprächen. Hierfür sei ihr diese Anhörung von großer Bedeutung, sagte Wolf. Lochner-Fischer kündigte für April weitere Anhörungen zu den diesmal noch nicht behandelten Problemen an, die sich für Kinder aus nichtehelichen Gemeinschaften bei einer Trennung der Eltern ergeben, bei Gewalterfahrungen und zu den Problemen für ausländische Mütter mit ihren Kindern bei einer Scheidung, ae