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VOM FRAUENWAHLRECHT ZUM GENDER MAINSTREAMING 90 Jahre Internationaler Frauentag

Aufruf der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen zum 8. März 2001

In diesem Jahr haben Frauen einen besonderen Grund zum Feiern: Der Internationale Frauentag wird 90 Jahre alt. Seit neun Jahrzehnten begehen Frauen in aller Welt - ursprünglich auf Initiative von deutschen Sozialdemokratinnen - um den 8. März herum einen frauenpolitischen Aktionstag, um ihren Forderungen nach Gleichstellung öffentlichkeitswirksam Nachdruck zu verleihen und ihr Engagement für internationale Solidarität zu bekunden. Letztere ist unverändert nötig, denn in vielen Ländern der Welt bleiben Frauen die Rechte und Chancen, die Frauen sich in den Industrieländern erkämpft haben, noch immer versagt. Vollendete Gleichstellung gibt es aber auch in den Ländern des Nordens trotz rechtlicher Gleichstellung und beachtlicher praktischer Fortschritte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht.

FRAUENRECHTE SIND MENSCHENRECHTE

"Sein Ziel ist das Menschenrecht als Frauenrecht" schrieb Clara Zetkin im Vorfeld des ersten internationalen Frauentages 1911. Vordringlich war für sie und ihre Zeitgenossinnen das Wahlrecht als Grundlage politischer Teilhabe und damit gesellschaftlicher Gestaltungsmacht. Dass diese Forderung Millionen Frauen mobilisierte und motivierte, gestaltete sich als wichtiger Motor, die Frauenbewegung zu politisieren und Frauenpolitik Schritt für Schritt als Bestandteil des politischen Handelns durchzusetzen.

Unermüdlich haben über die Jahrzehnte mutige und kämpferische Frauen - in Deutschland zeitweise unendlich zurückgeworfen durch die faschistische Diktatur im Dritten Reich - für gleiche Bildungschancen, für gleiche Rechte auf dem Arbeitsmarkt, für gleiche Teilhabe von Frauen an Ämtern und Mandaten sowie Staats- und Regierungsfunktionen, für sexuelle Selbstbestimmung, gegen Gewalt an Mädchen und Frauen und gegen Benachteiligung aller Art gekämpft. Mit wechselndem Erfolg. Aber immerhin mit Erfolg. Generationen von Sozialdemokratinnen haben dafür den Weg geebnet, seit geraumer Zeit mit breiter Unterstützung von Frauen aller Couleur. Die Frauenbewegung von heute ist nicht mehr die "Agitprop-Truppe" von einst, beschränkt auf Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung, sondern eine Netzwerkbewegung mit dem gemeinsamen Ziel der Verwirklichung von Chancengleichheit als verbindendem Element. Clara Zetkins Ziel, Frauenrecht als Menschenrecht anzuerkennen, ist übrigens 1994 bei der UN-Konferenz "Bevölkerung und Entwicklung" in Kairo Wirklichkeit geworden!

ZUR POLITIK DER CHANCENGLEICHHEIT GIBT ES KEINE ALTERNATIVE

Gut zweieinhalb Jahrzehnte nach dem "Internationalen Jahr der Frau" mit der ersten großen Frauenkonferenz in Mexiko und den Nachfolgekonferenzen in Kopenhagen, Nairobi und Peking, bestätigt durch die Sonder-Generalversammlung der UN "Peking plus 5" im vergangenen Jahr in New York, ist festzustellen: Eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaften in gegenseitigem Respekt und im Geist von Toleranz und Solidarität kann es nicht geben ohne die Gleichstellung von Mann und Frau. Es gibt keine zukunftsorientierte Alternative zu

* Chancengleichheit von Frauen und Männern im Erwerbsleben
* partnerschaftlicher Teilung von Erwerbs- und Familienarbeit
* verbesserten Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
* eigenständiger sozialer Sicherung von Frauen
* gesellschaftlicher Ächtung von Gewalt gegen Frauen
* paritätischen Machtbeteiligung von Frauen und Männern in allen Entscheidungsprozessen von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik.

Der Weltfrauenkonferenz von Peking 1995 verdanken wir ein neues erfolgsträchtiges Gleichstellungskonzept - wenn es denn richtig und umfassend angewandt wird: das Gender-Mainstreaming-Prinzip. Es ist die Weiterentwicklung der herkömmlichen Frauenförderpolitik, die auf die Beseitigung von Benachteiligung ausgerichtet ist, aber nur wenig strukturelle Veränderungen bewirken kann. Gender-Mainstreaming setzt bei beiden Geschlechtern an, bei der früh- und rechtzeitigen, selbstverständlichen, regelmäßigen und alle Handlungsbereiche erfassenden Einbeziehung der Sichtweisen, Interessen, Bedürfnisse und Fähigkeiten von Frauen und Männern von der Idee über die Planung bis zur aktiven Gestaltung und täglichen Praxis.

GENDER-MAINSTREAMING IST DIE NEUE DEVISE

Gender-Mainstreaming ist die eigentliche Herausforderung des neuen Jahrhunderts, weil dieses Prinzip Frauen aus ihrer Rolle als defizitäre Wesen befreit und eine gesellschaftlich strukturelle Veränderung für beide Geschlechter zum Ziel hat. Die Europäische Union legt dieses Prinzip z.B. seit einiger Zeit ihrer Förderpolitik zu Grunde. Die Bundesregierung hat Gender-Main-streaming in ihre Geschäftsordnung aufgenommen, in den Ressorts wird bereits an der Umsetzung gearbeitet. Einige Bundesländer wie Sachsen-Anhalt gehen schon beispielhaft voraus.
Noch ist die erste Reihe nicht paritätisch besetzt. Aber noch nie gab es in Bund und sozialdemokratisch geführten Ländern so viele Ministerinnen, Staatssekretärinnen und andere Frauen in politischen Führungspositionen. "Harte" Ressorts wie Wirtschaft und Finanzen sind längst keine Domäne der Männer mehr. Die Power-Frauen an den Schalthebeln der Macht sind ebenso unsere natürlichen Verbündeten wie die Frauen, die sich anderswo engagieren für eine Welt, in der das Geschlecht nicht mehr über Chancen und Rollenzuweisung entscheidet.

AUF DEM WEG ZUR ÜBERWINDUNG DER ROLLENTEILUNG

Die verzerrte Debatte um die "68er" hat den Blick für wesentliche Erfolge der Emanzipationsbewegung jener Tage verstellt: Die rechtlichen Schranken, die Frauen in Abhängigkeit gefangen hielten, sind Ende der sechziger und Anfang der siebziger durch die damalige sozial-liberale Koalition gefallen. Der Tomatenwurf der frustrierten, weil nicht ernst genommenen SDS-Frauen war quasi der Startschuss für den Marsch der Frauen durch die Institutionen, der von vielen Hindernissen erschwert war und noch ist. Er bewegt sich weiter in Richtung Überwindung von Rollenteilung und echter Freiheit der Lebensgestaltung für beide Geschlechter, eben in Richtung Geschlechterdemokratie. Die rot-grüne Bundesregierung ist auf dem richtigen Weg.
Damit die Richtung auch weiterhin stimmt, sind noch auf lange Sicht quer durch die Kontinente ein umfassendes Frauennetzwerk und ein weltweiter Aktionstag zur Demonstration von Anspruch und übergreifender Verbundenheit nötig und unverzichtbar. Wetten, dass wir bis zum 100. Geburtstag noch ein gutes Stück voran gekommen sein werden?! Vielleicht sogar in der Zielgeraden angekommen sind? Bestimmt gibt es Grund genug für ein rauschendes Fest!

Gender Mainstreaming -
Auf dem Weg zur Geschlechterdemokratie?!

"Gender Mainstreaming" ein neues Zauberwort in der Gleichstellungspolitik? Fast scheint es so. Alle Welt führt diesen Begriff im Munde, nur wenige wissen, was darunter zu verstehen ist.

Was ist Gender Mainstreaming?

Zunächst einmal dies: Gender Mainstreaming ist kaum ins Deutsche zu übersetzen. Helfen wir uns also mit einer nur auf den ersten Blick komplizierten Begriffsbestimmung, die wir der Vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking und der Europäischen Chancengleichheitspolitik verdanken.


Was ist das Ziel von Gender Mainstreaming?

Das Ziel von Gender Mainstreaming ist es, in alle Entscheidungsprozesse die Perspektive des Geschlechterverhältnisses einzubeziehen und alle Entscheidungsprozesse für die Gleichstellung der Geschlechter nutzbar zu machen.

Gender Mainstreaming ist also ein frauen- und gleichstellungspolitisches Instrument, eine Methode, um Organisationen zu verändern, und zwar zum Zwecke der Herstellung von Chancengleichheit in allen Politikbereichen. Gender Mainstreaming kommt daher der Idee der Gleichstellungspolitik als Querschnittspolitik sehr nahe und bietet einen konkreten Anhaltspunkt für den Veränderungsbedarf in Organisationen.

Was heißt das für die Umsetzung von Gender Mainstreaming?

Wenn das Gender Mainstreaming-Prinzip zur Anwendung kommen soll, dann werden alle Beteiligten an Entscheidungsprozessen - also Männer und Frauen, dazu verpflichtet, die gegenwärtig existierenden Strukturen in der jeweiligen Organisation daraufhin zu überprüfen, ob sie geschlechtsspezifische Benachteiligungen zur Folge haben, und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um diese gegebenenfalls zu überwinden.

Macht Gender Mainstreaming die "traditionelle" Gleichstellungs- und Frauenförderpolitik überflüssig?

Keineswegs. Gleichstellungs- und Frauenförderpolitik und Gender Mainstreaming ergänzen einander, sind zwei Seiten ein und derselben Medaille auf dem Weg zur Gleichstellung. Gleichstellungspolitische Maßnahmen sind auf kurz- oder mittelfristige Problemlösungen ausgerichtet. Gender Mainstreaming sorgt erst einmal dafür, dass offenkundig wird, dass Politik nicht geschlechtsneutral ist. Gender Mainstreaming setzt also am Anfang eines zu gestaltenden Prozesses an, nicht etwa an seinem Ende, wenn es dann gilt, geschlechtsspezifische Benachteiligungen im Nachhinein zu mildern oder zu beseitigen.

Das heißt aber auch: Gender Mainstreaming braucht einen langen Atem. Dafür bietet der Prozess aber auch alle Chancen für einen nachhaltige Veränderung im Sinne von mehr Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern. Und er bietet die Chance, wegzukommen von dem Mythos von der Frau als defizitärem Wesen, er bewegt Männern zum Nachdenken über die eigene Rolle in Beruf, Familie und Gesellschaft.

Ist Gender Mainstreaming auch ein wirkungsvolles Instrument für die Organisationsentwicklung der SPD?

Wir meinen uneingeschränkt: JA! Nachdem wir über die Einführung der Quotenregelung eine 40prozentige Mindestabsicherung von Frauen und Männer bei der Besetzung von Ämtern und Funktionen angestrebt und in vielen Bereichen auf allen Ebenen unserer Partei schon verwirklicht haben, bedeutet die Anwendung von Gender Mainstreaming den Beginn einer qualitativ neuen Stufe in der sozialdemokratischen Gleichstellungspolitik und im Rahmen der aktuellen Bestrebungen um die Reform der SPD.

Wenn die Interessen und Bedürfnisse, die Ansichten und Erfahrungen von Frauen und Männern von Beginn an in allen Bereichen unserer Politik Eingang finden, dann sind wir auf einem guten Weg zur Gleichstellung, auf dem Weg zur Geschlechterdemokratie! Daran arbeiten die SPD-Frauen mit allem Engagement.


Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) Wer wir sind und was wir wollen

Wir sind eine von neun Arbeitsgemeinschaften der SPD, die im organisatorischen Aufbau und im Rahmen der politischen Willensbildung der SPD eine besondere Bedeutung haben. Unsere Arbeit richtet sich an die Zielgruppe "Frauen" - und natürlich auch an die Männer, die mit uns gemeinsam die Chancengleichheit von Frauen und Männern in allen Bereichen unserer Gesellschaft verwirklichen wollen.

Unsere wichtigsten Aufgaben:

* Die Interessen, Forderungen, Bedürfnisse und Erfahrungen von Frauen so zur Geltung zu bringen und die Mitwirkung von Frauen in der SPD so zu verstärken, dass die politische Willensbildung von Frauen und Männern gleichermaßen getragen wird.

* Im Dialog mit Gewerkschaften, Verbänden, Organisationen, den Vertreterinnen der deutschen, westeuropäische und internationalen Frauenbewegung gemeinsame Forderungen zu entwickeln und durchsetzen.

In diesem Sinne verstehen wir uns als ein Netzwerk für Frauen - nicht nur in der SPD, in der über 200.000 Frauen organisiert sind. Damit sind wir die größte politische Frauenorganisation in der Bundesrepublik.

Die Frauen, die in der ASF mitarbeiten, spiegeln die weibliche Bevölkerung in der Bundesrepublik wider: Es sind junge und alte Frauen, Berufstätige und Familienfrauen, Arbeiterinnen und Lehrerinnen, Schülerinnen und Studentinnen, also Frauen aus verschiedenen Generationen und mit unterschiedlichen und demzufolge auch unterschiedlichen Auffassungen, die sich in der ASF zusammenfinden. In einem sind sie sich einig: im Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Breichen, und dafür setzen sich alle ein.

Die ASF ist der Ort, an der dem frauen- und gleichstellungspolitische Zielvorstellungen, Positionen und Programme der SPD vorgedacht und vorformuliert werden. Nicht alles, aber vieles von dem, wird "offizielle" Politik er SPD, so dass die ASF für sich in Anspruch nehmen kann, der Zeit gelegentlich ein bisschen voraus zu sein.

Wenn Sie mehr wissen wollen, wenn Sie Anregungen oder Kritik loswerden wollen, dann sind wir für Sie da: Auch wenn Sie (noch) nicht Mitglied der SPD sind oder es (noch) nicht werden wollen, sind Sie bei uns willkommen.

Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen
SPD-Parteivorstand
Frauenreferat
Willy-Brandt-Haus
Wilhelmstr. 141
10963 Berlin
Telefon 030/25991-447/-424 oder -256
Telefax 030/25991-525 Internet: http://www.spd.de/asf

 


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