Rentenreform
Die große Rentenstrukturreform
- Versuch einer Bilanz -
I.
Mit der Zustimmung des Bundesrates zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (sowie weiterer Gesetze) am 11. Mai 2001 hat eines der größten Reformvorhaben der rot-grünen Koalition, die "Große Renten(struktur)reform" nun seinen (vorläufigen?) Abschluss gefunden. Die Schlussphase dieser Reform hat etwa ein ganzes Jahr in Anspruch genommen. Allen, die mit ihr befasst waren, hat sie einen enormen Arbeitsaufwand abverlangt und die öffentlichen Emotionen zeitweise sehr hoch geputscht.
Wie ist nun das Ergebnis zu bewerten?
Wie stehen die Chancen, dass die mit der Reform angestrebten Ziele im Zuge der Realisierung der Reform auch erreicht werden? Primäres Ziel der Reform war die langfristige Stabilisierung der Finanzen der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV): Der Beitrag zur Rentenversicherung sollte stabil, die Zahlungen an die künftigen Rentnerinnen und Rentner auf einem akzeptablen Niveau gehalten werden. Den Beispielen auch anderer europäischer Länder folgend kamen Bundesregierung und Koalitionsfraktionen zu dem Schluss, dass die Leistungsfähigkeit der GRV nur durch eine Ergänzung dieses Systems, durch den Aufbau eines zusätzlichen Altersvermögens" auf privater Basis zu erhalten ist. Um diesen Aufbau zu ermöglichen hat sich der Gesetzgeber zu einer relativ großzügigen Förderung aus Steuermitteln entschlossen. Ob das Ziel der Stabilisierung des Systems für das nächste halbe Jahrhundert tatsächlich erreicht werden kann, bleibt abzuwarten. Die bisherigen Erfahrungen sprechen eher dagegen, zu viele "Prognosen" über zukünftige Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, in der Wirtschaft usw. gehen in die Berechnungen ein. Aber es wäre schon ein Gewinn wenn es gelingt, die GRV für die nächste Zukunft aus dem "Gerede" zu holen und das Vertrauen in ihre Leistungsfähigkeit (wieder) herzustellen.
II.
Die ASF (und andere Frauenverbände ebenfalls) hat mit der Großen Rentenstrukturreform ein weiteres Ziel verknüpft: Ein "Systemwechsel" sollte erfolgen, der einem modernen Ehe- und Partnerschaftsverständnis entspricht. "Frauenrenten" sollten sich in Zukunft - wie bisher schon "Männerrenten" - auf eigenständigen Ansprüchen begründen, "abgeleitete" Ansprüche sollten - mit langen Übergangszeiten - immer mehr in den Hintergrund treten. Was wurde nun erreicht? Die ASF weiß sehr gut, dass eigenständige Ansprüche zu allererst durch eigene Erwerbstätigkeit begründet werden. Arbeitsplätze oder Kinderbetreuungsplätze schafft aber kein Rentensystem, da sind andere Politikbereiche gefragt. Die ASF war deshalb auch "not amused" als nicht nur der politische Gegner sondern auch "befreundete" Verbände so taten, als könne man im Rahmen der GRV alle "Sünden" zu Lasten von Frauen (oder von den Frauen selbst!) wiedergutmachen. Die nun plötzlich in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion gerückte Forderung nach Ganztagsschulen u.ä. sowie die demographische Entwicklung, die Entlastung auf dem Arbeitsmarkt verspricht - das sind Entwicklungen, die einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen und somit zum Aufbau eigener Rentenansprüche leisten könnten.
III.
Die zweite Möglichkeit, Frauen zu eigenständigen Rentenansprüchen zu verhelfen, ist die Höherbewertung von Zeiten der Kindererziehung. Und hier hat sich in der Tat einiges getan und zwar in drei verschiedenen Kontexten:
1. Bei den "eigenen" Renten durch die höhere Bewertung von unterdurchschnittlichem Verdienst bis zum 10. Lebensjahr des jüngsten Kindes (bei dauerhaft erwerbsgeminderten Kindern bis zum 18. Lebensjahr) und durch die Gewährung von einem Drittel Entgeltpunkt bei der gleichzeitigen Erziehung von zwei oder mehr Kindern unter 10 (18) Jahren, auch ohne gleichzeitige Erwerbstätigkeit;
2. durch die Aufstockung der (künftigen) "herkömmlichen" Witwen- und Witwerrenten, falls Kinder erzogen worden sind (zwei Entgeltpunkte für das erste, ein Entgeltpunkt für jedes weitere Kind);
3. durch die großzügige Förderung von Kindererziehung (in der Endstufe DM 360 pro Jahr und Kind) bei der privaten Altersvorsorge.
Bei einigen dieser Maßnahmen stellt sich durchaus die Frage, ob sie nicht letztlich "rollenstabilisierend" im traditionellen Sinne wirken. Aber es bleibt die Tatsache, dass die Renten der Frauen aufgebessert werden.
IV.
Am meisten Zeit und Kraft haben die Akteurinnen aus den Reihen der ASF in die Reform der Hinterbliebenenversorgung investiert. Zentraler Punkt war die Durchsetzung des Ehegattensplittings. Nach Vorstellung der ASF sollte es nach einer angemessenen Übergangszeit die traditionellen Witwen- und Witwerrenten ganz ablösen.
Dies ist nicht gelungen. In den nächsten ca. 25 Jahren bleibt alles im wesentlichen wie gehabt. Danach gibt es die Wahl zwischen dem Ehegattensplitting und "traditionellen" Hinterbliebenenrenten, die im Zuge der parlamentarischen Beratung immer mehr "nachgebessert" wurden; von ihrem zunächst beabsichtigten langfristigen "Abbau" ist nur die Tatsache übriggeblieben, dass künftig alle weiteren Einkommensarten angerechnet werden. Für vermögende Hinterbliebene sind sie dann nicht mehr attraktiv.
Nicht einzusehen ist, warum nicht auch Verheirateten die am Stichtag 1.1.2002 bereits älter als 40 Jahre sind die Möglichkeit gegeben wird, zwischen Ehegattensplitting und traditioneller Witwen- und Witwerrente zu wählen. Ebenso wenig realisiert wurde die ursprüngliche Absicht, das Ehegattensplitting in der Rentenversicherung auf eingetragene Lebenspartnerschaften auszudehnen. Beide Versäumnisse gehören auf die Agenda für zukünftige Nachbesserungen. Trotzdem hat die ASF Grund froh und ihrer Bundesvorsitzenden für ihren enormen Einsatz dankbar zu sein, dass zumindest der Einstieg in ein neues, modernes System der Hinterbliebenenversorgung geschafft ist, nachdem es zeitweise so aussah, als würde sich nichts bewegen.
V.
Nicht erreicht wurde auch das Ziel, die Förderung der privaten Altersvorsorge auf Verträge zu begrenzen, die gleiche Tarife für Frauen und Männer (Unisex-Tarife) vorsehen. Hier müssen wir in der nächsten Zeit den Markt genau beobachten. Auch könnte es sein, dass Betriebsrenten sich als attraktiver erweisen. Sie erfüllen von vorneherein die Forderung nach Gleichbehandlung der Geschlechter. Bei der privaten Vorsorge kann sich die ASF zugute halten, dass sie auf "eigenen Verträgen" für Ehefrauen bestanden und dies auch durchgesetzt hat.
VI.
Die Bekämpfung von Altersarmut war stets eine wichtige Forderung der ASF. Die Einführung einer steuerfinanzierten, bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung wurde so nicht realisiert. Aber die Tatsache, dass bei der Gewährung von Sozialhilfe an bedürftige Ältere oder dauerhaft Erwerbsgeminderte auf den Rückgriff auf deren Kinder (bzw. Eltern) verzichtet wird (falls deren Jahreseinkommen nicht 100.000 Euro übersteigt), ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung "verschämter" Armut. Wichtig in diesem Zusammenhang sind auch die erweiterte Informationspflicht und die Hilfestellung der Rentenversicherungssicherungsträger bei der Realisierung des Sozialhilfeanspruches.
VII.
Die Bundesregierung hat angekündigt, die Änderungen in der GRV auch auf das System der Beamtenversorgung übertragen zu wollen. Die Forderung der ASF ist klar: Das Ehegattensplitting muss auch bei der Beamtenversorgung und beim Zusammentreffen von Beamtenversorgung und GRV realisiert werden. Das wird aber sehr hart werden, da (angeblich) "verfassungsrechtliche Bedenken" dem entgegenstehen (die bei den Regelungen für Geschiedene offenbar keine Rolle spielen). Auch weiß niemand, welche "Reform der Reform" das seit langem erwartete Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rentenbesteuerung nötig machen wird. Es bleibt also noch einiges zu tun. Die Altersvorsorge bleibt eine ständige Herausforderung für die Politik und ein Thema für die ASF. Einige Erfolge haben wir im letzten Jahr erzielt. Hoffen wir, dass noch weitere dazu kommen.
Anastasia Reiners-Logothetidou,
Mitglied des ASF-Bundesvorstandes
Juli 2001