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 FRM II (Forschungsreaktor München II - Garching)

Artikel aus der "Vorwärts"-Ausgabe im März 1995, Bayernteil.

FRM II - Forschung auf Abwegen

Der zweite Garchinger Atomreaktor

Bald wird der Baugrund vorbereitet und der Bauzaun muß von der Polizei bewacht werden. Der Neubau eines Atomforschungsreaktors in Garching bei München (FRM II), ein Projekt der Technischen Universität München, der Siemens AG und der Bayerischen Staatsregierung, ist umstritten:

Obwohl der Forschungsreaktor deutlich kleiner als ein Atomkraftwerk (AKW) ist, bleiben die grundsätzlichen Probleme eines Atomreaktors bestehen. Welt- und sicherheitspolitisch ist die Verwendung von hochangereichertem Uran im FRM II brisant. Außerdem halten viele Physikerinnen und Physiker eine Spallationsquelle für geeigneter zur Durchführung der Experimente als einen Reaktor.

Politik und Forschungsziele

Bayern geht ans Eingemachte. Aus dem Verkaufserlös der bisher einträglichen Bayernwerke soll ein Prestigeobjekt finanziert werden, dessen wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Nutzen in Frage zu stellen ist. Der Staat kann die Steuergelder und Volksvermögen nur einmal ausgeben. Ein neuer Atomforschungsreaktor in Garching wird andere Forschungsprojekte blockieren. Soll wirklich eine Milliarde DM für die Ausbildung auch von Atomtechnikern vergeudet werden?

Auch ohne den FRM II wandern 1995 noch immer ein Vielfaches mehr an Bundesgeldern in die Atomtechnologie als in regenerative Energien und Energiespartechnologien, deren Forschungsförderung gegenüber 1994 sogar gekürzt wurde! Gerade in diesem Bereich besteht ein hoher Forschungsbedarf. Zudem existieren hier schon konkurrenzfähige Systeme, die nur noch auf günstigere politische Rahmenbedingungen warten.

Seit dem GAU 1986 in Tschernobyl wurde kein neues AKW in Deutschland gebaut. Die SPD hat den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Durch den Bau des FRM II sollen auch Ingenieure auf dem neuesten Stand der Reaktortechnik gehalten und vorraussichtlich auch Materialien für AKWs getestet werden. Das wäre im Klartext der Einstieg in den Nicht-Ausstieg aus der Atomenergie - ein falsches energie- und umweltpolitisches Zeichen!

unSicherheit - die Probleme eines Atomreaktors

Nach Ansicht von zahlreichen Expertinnen und Experten weisen sowohl die Planung des FRM II wie auch der bisherige Sicherheitsbericht mit Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) erhebliche Mängel auf. Ein neuer Sicherheitsbericht, der dem bayerischen Umweltministerium bis Oktober 1994 vorliegen sollte, liegt bis heute noch nicht vollständig vor.

HEU im FRM II und der Atomwaffensperrvertrag

Er heißt auf Englisch "Non Proliferation Treaty" und verpflichtet zur Nichtverbreitung von Atomwaffen und atomwaffenfähigem Material, also hochangereichertem Uran, engl. "Highly Enriched Uranium", auch kurz HEU genannt. Der Vertrag trat 1970 in Kraft und muß I995 wieder verlängert werden. "Non Proliferation" wurde von den USA bereits 1978 mit dem Umstellungsprogramm RERTR (Reduced Enrichment for Researched Test Reactors - Abreicherungsprogramm) auf Forschungsreaktoren ausgedehnt. Dazu wurde ein neues Verfahren (Uran-Silicid) entwickelt. Weltweit wurden so etwa 40 Forschungsreaktoren von waffenfähigem Uran auf nichtwaffenfähiges Uran umgerüstet oder befinden sich, wie das Garchinger "Atomei", im Umstellungsprozeß, und das ohne wesentliche Leistungsminderung. Das Uran-Silicid-Verfahren soll nun erstmals in der Welt mit waffenfähigem Uran kombiniert werden. Der geplante FRM II kann daher nur mit waffenfähigem Uran betrieben werden. Müßte nichtwaffenfähiges Uran verwendet werden, so wären umfangreiche und teure Umbaumaßnahmen - wenn nicht gar eine völlige Neuplanung - erforderlich.

Vor allem Länder der sog. Dritten Welt sehen den Atomwaffensperrvertrag als Behinderung ihrer Forschungsmöglichkeiten und Wettbewerbsfähigkeit an. Durch den Besitz eines mit atomwaffenfähigem Material betriebenen Forschungsreaktors könnte jedes beliebige Land zur Atommacht werden - der Streit um Nordkoreas Atomprogramm ist ein Beispiel dafür. Deutschland würde durch Einsatz der HEU-Technologie ein negatives Zeichen setzen. Dies würde die Erneuerung; des Atomwaffensperrvertrages behindern.

Spallationsquelle - die altemative Neutronenquelle

Mit Hilfe eines Teilchenbeschleunigers werden Protonen oder schwere Wasserstoffkerne auf hohe Geschwindigkeit gebracht und gegen eine Schwermetallplatte geschossen, wodurch Schwermetallatome zertrümmert, d. h. gespalten (Spallation) und Neutronen frei werden. Diese werden aussortiert und zu den Experimenten geleitet. Die dabei entstehenden radioaktiven Restteilchen sind fast ausschließlich kurzlebig und können keine Kettenreaktion auslösen. Tritt ein Fehler auf, wird der Teilchenbeschleuniger einfach ausgeschaltet. Eine Gefährdung der Bevölkerung ist ausgeschlossen. Die Spallationsquelle eröffnet ein breiteres Spektrum von Versuchen als der FRM II. Für die wenigen Spezialversuche, die mit einer Spallationsquelle nicht durchführbar sind, steht den Forscherinnen und Forschern der Technischen- und der Ludwig-Maximilians-Universität München z.B. der generalüberholte Atomforschungsreaktor in Grenoble zur Verfügung. Dort sind freie Kapazitäten, während z.B. die neue Spallationsquelle in Oxford voll ausgelastet ist! In Deutschland wurde ein Forschungsreaktor in Krümmel mangels Aufträgen für die Materialforschung stillgelegt.

Generationenwechsel

Die Professoren, die heute den FRM II fordern, werden kaum an ihm forschen können! Die meisten werden zum Zeitpunkt der Fertigstellung ihre Ämter nicht mehr inne haben. Die künftigen Forscherinnen und Forscher sind noch zu jung und haben kaum Einfluß auf das Projekt. Der Bau des FRM II würde eine Milliarde DM und ca. 30 Millionen DM jährlich verschlingen. Die Forschung an diesem Reaktor ginge damit auf Kosten andererForschungsfelder.

Aktueller Stand des FRM II Projektes

Die Gelder zum Bau des FRM II sind vom Bayerischen Landtag gegen die Stimmen von SPD und Grünen bereits genehmigt worden. Die Beteiligung des Bundes im Rahmen von Hochschulmitteln ist noch ungeklärt. Sie ist allerdings wegen der Venvendung von waffenfähigem Uran umstritten. Mit einem baldigen Baubeginn der nicht atomrechtlich zu genehmigenden Teile sollen Fakten geschaffen werden.

Die oberbayerische SPD hat sich dem "Bündnis gegen Atomreaktor Garching" angeschlossen, das parteiübergreifend mit vielen Bürgerinitiativen und Umweltschutzorganisationen den Widerstand gegen den Reaktor bündelt. Die Bundes-SPD versucht die Verwendung von waffenfähigem Uran zu verhindern. Der Werbeetat der Technischen Universität München in Höhe von 4,1 Millionen DM für den Reaktor ist beachtlich. Alle SPD-Mitglieder und -Gliederungen sollten deshalb mithelfen, um unsere ablehnende Position zum FRM II durch Gespräche mit Bekannten, lokale Pressearbeit, Infoständen und Informationsveranstaltungen zu stärken.*

* Flugblätter zum FRM II "Forschung: Ja! Atomreaktor Nein!" und eine Bücherliste zum Thema Energie gibt es zu bestellen bei den Münchner ]usos, Oberanger 38 / IV, 80331 München. Eine Informationsmappe zum FRM II gibt es für 10,- DM beim "Bündnis gegen Atomreaktor Garching", c/o Gina Gillig, Im Ried 1, 85716 Unterschleißheim.

"Eine Neutronenquelle in Form des beantragten Atomreaktors FRM II in Garching lehnen wir ab", steht im Programm der Bayem SPD unmißverständlich. Genauso einmütig beschloß der Landesparteitag 1994, daß "die Bayern SPD auf der Seite der engagierten Bürgerinnen und Bürger steht, die sich im "Bündnis gegen den Atomreaktor Garching zusammengeschlossen haben". In ihrer Erwiderung auf Stoiber vor dem Landtag ließ die SPD-Fraktionsvorsitzende Renate Schmidt am klaren Nein der SPD zum Forschungsreaktor keinen Zweifel aufkommen. Bereits im Sommer 94 hatte die SPD im Haushaltsausschuß geschlossen gegen die Auftragsvergabe an Siemens gestimmt. lm Herbst lehnte sie die Hochbauvorlage ab und zu den begonnen Haushaltsberatungen liegt ein SPD-Antrag auf Streichung der Gelder für den FRM II vor. Diesem inzwischen einheitlichen Vorgehen der Landtags-SPD begegnete die CSU mit einem Ermächtigsbeschluß für die Staatsregierung, die Gelder ohne beschlossenen Haushalt auszugeben. Die SPD prüft derzeit eine Verfassungsklage dagegen. Beim Forschungsreaktor geht es um sehr viel (nicht nur um viel Geld). Entsprechend hart sind die Auseinandersetzungen - und sie sind noch lange nicht beendet. Widerstand ist angesagt.

Arne Sieg, 20.2.1995


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