Pressemitteilung der SPD-Landtagsfraktion vom 29.06.2005
Die SPD lehnt das BayKiBiG ab
Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Franz Maget im Plenum des Landtags bei der 2. Lesung zum BayKiBiG
Aus dem Redebeitrag des Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion, Franz Maget, in der Aussprache zum Bayerischen Kin derbildun gs- und -betreuungsgesetz:
"Heute soll ein neues Kindertagesstättengesetz verabschiedet werden, das die Kinderbetreuung in Bayern verschlechtern wird.
Es ist also eine Minute vor zwölf.
Die heutige, ausführliche Debatte im Landtag ist notwendig geworden,
- nachdem die Stellungnahmen der Wohlfahrtsverbände, der Beruf- und Elternverbände wirkungslos blieben
- nachdem mehr als 250 Petitionen, die von mehreren tausend Bürgern unterschrieben waren, von der CSU ohne Beratung als erledigt erklärt wurden
- nachdem die Kritik der Expertinnen und Experten bei zwei Anhörungen im Landtag von der überheblichen 2/3-Mehrheit ignoriert wurde.
Wir wollen als Sozialdemokraten nach draußen noch einmal ganz deutlich machen: Dieses Gesetz darf in der vorliegenden Form nicht beschlossen werden.
Wir lehnen das Gesetz ab,
· weil es 1. finanzpolitisch ein Spargesetz ist
· weil es 2. bildungspolitisch eine Katastrophe ist
· weil es 3. frauen- und familienpolitisch verfehlt ist
· weil es 4. behindertenpolitisch ein Rückschritt ist
Warum ein Spargesetz?
Unverhohlen betont der Freistaat in der Gesetzesbegründung die Kostenneutralität der Förderumstellung. Bislang wurden in Bayern rund 370 000 Plätze in Kindergärten und Horten mit diesem Geld bezuschusst (durch die so genannte gruppenbezogene Förderung). Aus dem Topf "Personalkosten für pädagogische Fachkräfte im Kindergartenbereich" sollen künftig zusätzliche Kinder gefördert werden:
· in Krippen - da sind wir froh, dass die bayerischen Ministerien die Krippen entdeckt haben
· in der Tagespflege
· sowie in kommunalen Horten (die bislang keine staatliche Förderung erhielten)
Wenn man mehr Kitaplätze haben will, müssen die Zuschussmittel konsequent steigen. Das geplante Gesetz gilt darüber hinaus nun grundsätzlich für 1,3 Millionen Kinder in Bayern zwischen 0 und 14 Jahren. Für deren Förderung muss entsprechendes Geld bereitgestellt werden!
Damit der Freistaat jedoch nicht verpflichtet werden kann, wurde auf einen Rechtsanspruch der Eltern für ihre Kinderbetreuung verzichtet.
Ich nenne aus der Begründung des Gesetzentwurfes auch die weiteren beabsichtigten Einspareffekte:
· Wegfall von notwendigen Plätzen in heilpädagogischen Tagesstätten (HPT`s)
· Wegfall der Festlegung von Raumgrößen - zu Lasten der Kinder
· Wegfall der Rechtsgrundlage für so genannte Defizitverträge - zu Lasten der Träger
· Wegfall der so genannten § 5-3-Kräfte - Personal Zusatzkräfte
· Tagespflege statt institutioneller Kinderbetreuung - Tagespflegemütter
· Gastkinderregelung
· Anrechenbarkeit von Sachleistungen der Kommunen auf deren Förderung
Außerdem: Das so genannte 313 Millionen-Programm des Freistaates, mit dessen Mitteln neue Krippen- und Hortplätze geschaffen wurden, läuft 2006 aus. Wenn es ab 2007 keine zusätzlichen Mittel gibt, werden diese Einrichtungen ebenfalls aus dem vorhandenen Topf, man muss schon sagen "Töpfchen", gefördert.
Wir fordern
· den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz und
· den konsequenten Ausbau mit einem verlässlichen Mehrjahresinvestitionsplan und die Sicherheit bei der Finanzierung des laufenden Betriebs der Kitas
· ein transparentes Bedarfsfeststellungsverfahren, bei dem die Träger verbindlich beteiligt werden
Der Begriff "Spargesetz" stammt übrigens nicht von uns, sondern von Prof. Fthenakis (IFP) bei unserer Anhörung.
Bildungspolitisch ist das geplante Gesetz ein Rückschritt, weil Standards reduziert werden und gleichzeitig mehr Qualität (z. B. durch die Umsetzung des Bildungs- und Erziehungsplans) gefordert wird.
Die Weiterentwicklung in den Einrichtungen wird mit diesem Gesetz nicht gefördert. Qualitätssteigeru
ng kann nicht kostenneutral sein: Wenn weniger Geld für mehr Kinder ausgegeben wird, kann die Qualität nicht besser werden. Die Forderung lautet daher: mehr Finanzmittel für die Bildung der Kinder vor deren Einschulung.
Übrigens: Die Durchführungsverordnung liegt noch als Verschlusssache in der Schublade des Ministeriums.
Das Gesetz benachteiligt Frauen
Im Kitabereich arbeiteten fast ausschließlich Frauen.
Die Träger werden durch die neue Finanzierung gezwungen,
· in der Regel befristete Arbeitsverträge und Teilzeitarbeitsverträge anzubieten,
· so genannte Verlierereinrichtungen zu schließen und das Personal zu kündigen,
· jüngere, billigere Kräfte statt ältere und erfahrene Mitarbeiterinnen einzustellen, um die Personalkosten gering zu halten,
- auf eine langfristige und nachhaltige Personalpolitik zu verzichten.
Das Gesetz benachteiligt Familien.
Die Familien werden
· an ihrem Wohnort wegen der Gastkinderregelung zu Bittstellern, wenn sie z. B. eine geeignete Kita in der Nähe ihres Arbeitsplatzes gefunden hätten.
· abhängig sein von der Finanzkraft ihrer jeweiligen Gemeinde. (Vermögende Eltern hingegen sind frei in der Wahl ihrer Einrichtung.)
· künftig mehr Geld für die Betreuung ihrer Kinder aufwenden müssen. (Die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Eltern wird nicht berücksichtigt).
· kürzere Nutzungszeiten buchen, wenn sie zu den einkommensärmeren Schichten zählen. (Die wirtschaftliche Jugendhilfe bei den Jugendämtern plant, Beiträge von Eltern, die Sozialhilfe (Alg.II) erhalten, maximal für die vierstündige Betreuung zu übernehmen: In Bayern gibt es 85 000 Kinder im Sozialhilfebezug!
Das Gesetz ist behindertenpolitisch ein Rückschritt.
Die Integration von Kindern mit Behinderungen und von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf war bislang durch das noch gültige Bayerische Kindergartengesetz und das Sozialhilfegesetz abgesichert. Bei der künftigen Finanzierung reicht der Faktor 4,5 nachweislich nicht aus, um eine erforderliche dritte Kraft in Integrationsgruppen zu finanzieren (bisher BayKiG).
Mit den Kommunen muss einzeln verhandelt werden, ob sie bereit und in der Lage sind, mehr zu bezahlen. Der individuelle Förderbedarf des Kindes kann dabei ignoriert werden. Zusätzlich ist für den Integrationsbedarf des Kindes weiterhin die Finanzierung über die Bezirke erforderlich. Der Verband der Bayerischen Bezirke hat jedoch bei den Anhörungen im Landtag erklärt, dass die Finanzierung nur bis einschließlich 2006 gesichert ist. Im BayKiBiG fehlt jegliche Verpflichtung auf die Fortsetzung der Finanzierung durch die Bezirke. Wir befürchten, dass Kitaträger aus betriebswirtschaftlichen Gründen gezwungen sein werden, die Integrationsgruppen aufzulösen.
So genannte Risikokinder sind besonders betroffen. Kinder mit Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten gehören zu den Verlierern des Gesetzes. Für diese Kinder gibt es keine spezielle Finanzierung mehr (früher Artikel 5, Abs. 3 3.DV BayKiG).
Die Defizite an diesem Gesetz sind so zahlreich, dass von mir nur eine kleine Auswahl vorgestellt werden konnte. Alles andere kommt im Lauf dieses Tages zur Sprache.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Eine neuerliche und intensive Beratung dieses Gesetzes, das für die nächsten Jahre gelten soll, ist dringend erforderlich! Lassen Sie sich nicht schon wieder von der Arroganz der 2/3-Mehrheit verleiten. Zum Schaden Bayerns und - leider - erneut auf dem Rücken der Kinder. "
Das Plenum des Bayerischen Landtags hat am 29.6. mit den Stimmen der CSU und gegen die Stimmen von SPD und Grüne das Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG) beschlossen.