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Aufruf des AsF-Bundesverbandes:

Gebt dem Fundamentalismus in Afghanistan keine Chance!

Die Taliban-Herrschaft in Afghanistan ist zu Ende. Ein Sieg über den Fundamentalismus ist das noch nicht. Im Rahmen der vielen ungeklärten Fragen über die Zukunft dieses seit Jahrzehnten durch Krieg und Terror geschundenen Landes muss es im jetzt begonnenen Post-Taliban-Prozess vor allem auch darum gehen, einer demokratischen Entwicklung und den Rechten der Frauen in Afghanistan (wieder) zum Durchbruch zu verhelfen.
Zur Erinnerung: Es gab einmal Ministerinnen und Abgeordnete, Professorinnen und Ärztinnen, Künstlerinnen und Händlerinnen usw., bevor den Frauen mehr und mehr Rechte genommen und alle unter die Burkha gezwungen wurden. Als die Taliban Kabul einnahmen, wurden innerhalb von drei Monaten 63 Schulen geschlossen, in denen zuvor 148 000 Jungen und 103 000 Mädchen von 3 400 Lehrern und 7 800(!) Lehrerinnen unterrichtet worden waren. Zehntausend Studierende, davon immerhin viertausend Frauen, wurden nach Hause geschickt. Es wird unendliche Mühe kosten, diesen Stand in der Hauptstadt wieder zu erreichen und ihn auf das ganze zerstörte Land auszudehnen. Dazu wollen die Frauen in der SPD im Rahmen ihrer Möglichkeiten beitragen.
Über zwanzig Jahre Krieg haben 1,5 Millionen Tote gekostet und 3,6 Millionen Menschen - die größte Flüchtlingsgruppe der Welt! - aus ihrer Heimat vertrieben. Die erbarmungswürdigen Zustände im Land haben auch zur höchsten Müttersterblichkeit der Welt geführt, und jedes vierte Kind ist höchstens fünf Jahre alt geworden. Das sind nur einige Fakten, die uns vor Augen führen, vor welch gewaltigen Herausforderungen diejenigen stehen, die jetzt und später die Geschicke Afghanistans zu lenken haben. Dafür brauchen sie unsere uneigennützige Unterstützung.
Der SPD-Bundesparteitag in Nürnberg hat im November 2001 auf Antrag der ASF die Bundesregierung einstimmig aufgefordert, sich klar für die Rechte der Frauen in Afghanistan einzusetzen. Es ist unverzichtbar, in die Bemühungen um den Aufbau demokratischer Strukturen in Afghanistan Frauen als gleichberechtigte Gesprächs- und Verhandlungspartnerinnen einzubeziehen. Dafür steht die zuständige deutsche Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul auch ganz persönlich.
Der ASF-Bundesvorsitzenden Karin Junker gelang es, mit zwei Kolleginnen der European Women's Leaders auf dem Petersberg vor der Verhandlungsrunde eindringlich vorzutragen, dass die sozialdemokratischen Frauen Europas an der Seite der Frauen Afghanistans sind in der Erwartung und Notwendigkeit, Frauen gleichberechtigt in allen Phasen an allen denkbaren Gremien des Post-Taliban-Prozesses zu beteiligen. Dieses muss von dem Bekenntnis zur Wahrung der Menschenrechte und der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Frau getragen werden. Zwei Frauen in der Übergangsregierung sind ein hoffnungsvoller Beginn auf dem fragilen Weg in eine hoffentlich bessere Zukunft.
Fünf Frauen am Verhandlungstisch auf dem Petersberg waren entschieden zu wenig, aber doch mehr, als ursprünglich zu erwarten war. Dazu hat der öffentliche Druck beigetragen, und deshalb ist es wichtig, das dieser auch bestehen bleibt. Die Männer am Verhandlungstisch hat man wissen lassen, dass sie geächtet bleiben, wenn sie den Beteiligungswillen der Frauen außer Betracht lassen.
Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) unterstützt gezielt afghanische Frauen, die unter hohem persönlichem Risiko nie nachgelassen haben, für die Anerkennung von Frauenrechten als Bestandteil der universellen Menschenrechte einzustehen. Ihnen kommt eine herausragende Rolle für den politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Wiederaufbau Afghanistans zu. Das gilt auch für Exilafghanen und -afghaninnen, deren Bereitschaft, sich an diesem Prozess zu beteiligen, jetzt gefragt ist.
Die Geber-Konferenz von Tokio hat für einen auf fünf Jahre ausgelegten Hilfsplan 4,5 Milliarden US-Dollar von 61 Geberländern und 21 internationalen Organisationen erbracht. Davon sollen noch in diesem Jahr 1,8 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt werden. Die Europäische Union ist daran mit 2,3 Milliarden US-Dollar für fünf Jahre, davon 600 Millionen für das laufende Jahr, beteiligt. Mit mehr als 45 Prozent der zugesagten Mittel ist die Europäische Union einmal mehr der größte und wichtigste Geber. Von den Mitgliedsländern bringt Deutschland mit 80 Millionen in diesem Jahr bzw. 320 Millionen in vier Jahren das meiste auf, um den Wiederaufbau Afghanistans zu unterstützen und humanitäre Hilfe zu leisten. Nicht zuletzt dem Europäischen Parlament ist es ein besonderes Anliegen, Teile dieser Mittel gezielt zur Unterstützung von Frauen einzusetzen, um ihnen beispielsweise einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Berufstätigkeit, vordringlich aber auch zu medizinischer Versorgung und Nahrung zukommen zu lassen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass das Schicksal des Landes und seiner Frauen wieder aus dem Blick der Weltöffentlichkeit gerät. Die Frauen in Afghanistan brauchen unsere Unterstützung und unsere Solidarität auf Dauer!
Die ASF unterstützt die Forderung afghanischer Frauen, eine überparteiliche und multinationale Beobachterinnen-Gruppe zu bilden, um die Stimme der Frauen Afghanistans zu verstärken und ihren Rechten Geltung zu verschaffen. Wir wollen die fortschrittlichen Kräfte in der Übergangsregierung ermutigen, sich neu aufkommenden islamistischen Tendenzen zu widersetzen und durchzusetzen, dass Frauen eine angemessene Beteiligung an der in einigen Monaten einzuberufenden "Loya Jirga" ermöglicht wird. Denn dort wird über die Rechtsordnung der Zukunft entschieden.
Mit den Frauen Afghanistans fordern wir:
Gebt dem Fundamentalismus in Afghanistan keine Chance!

 


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