www.lochner-fischer.de (aufgenommen am 31.12.1999)
Zum Archiv Frauenpolitik Dokumente zum § 218
 
Download in Word 6.0/95 (21 kB)
 

Zusammenstellung von
Daten und Fakten zur Reform des § 218
von 1851 bis 1999


1. Die Vorgeschichte der Reformbemühungen 1851 bis 1969

14.4.1851
Das Preußische Strafgesetzbuch sieht für Selbst- und Fremdabtreibung Strafen bis zu 5 Jahren Zuchthaus vor. Andere deutsche Länder sehen z. T. mildere Strafen (z. B. Bayern 4 bis 8 Jahre Arbeitshaus für die Frau) vor.

15.5.1871
Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich übernimmt die Androhung von Zuchthaus bis zu 5 Jahren.

18.5.1926
Die Strafandrohung von 5 Jahren Zuchthaus für die Frau und den Helfer wird gemildert. Aus dem Verbrechen wird ein Vergehen (grundsätzlich Gefängnisstrafe). Nur bei gewerbsmäßiger Abtreibung droht weiterhin Zuchthaus.

11.3.1927
Das Reichsgericht erklärt in einer Grundsatzentscheidung den Schwangerschaftsabbruch dann für straflos, wenn eine Gefährdung des Lebens der Schwangeren nicht anders abzuwenden ist. Es stellt den Grundsatz der "Güterabwägung" in den Vordergrund.

26.6.1935
Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" von 1933 wird um eine Vorschrift ergänzt, nach der die Abtreibung bei unmittelbarer Gefahr für Leben oder Gesundheit der Schwangeren erlaubt ist.

18.3.1943
Eine "Verordnung zur Durchführung der Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft" bedroht den Abtreiber mit der Todesstrafe, wenn er durch seine Handlungen "die Lebenskraft des deutschen Volkes beeinträchtigt".

1945
Die Verordnung von 1943 sowie diejenigen Teile des "Erbgesundheitsgesetzes" (vgl. 1935), die nationalsozialistisches Gedankengut enthalten, werden aufgehoben. Bayern und Hessen heben auch die Vorschriften über die "medizinische Indikation" auf.

25.6.1969
Mit dem Ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts kommt die Große Strafrechtsreform in Gang. Es setzt die Strafen für Abtreibung weiter herab: keine Erhöhung der Strafe bei "besonders schwerem Fall"; die Fremdabtreibung (bis dahin ein Verbrechen) wird ein Vergehenstatbestand.




2. Fristenregelung ./. Indikationenmodell - Die Reform des § 218 ab 1970

9.2.1972
Die Bundesregierung legt einen Gesetzentwurf zur Änderung des § 218 vor. Er enthält vier Fälle, in denen der Abbruch straffrei bleiben soll: die medizinische, die ethische, die eugenische sowie eine allgemeine Notlagenindikation (Indikationenmodell).

Eine Gruppe von 51 Abgeordneten der Fraktionen der SPD und der F.D.P. legt einen eigenen eigenen Entwurf für eine Fristenregelung vor.

21.3.1973
Die Fraktionen von SPD und F.D.P. bringen im Bundestag u. a. einen Antrag zur Änderung des § 218 im Sinne der Fristenregelung ein.

4.4.1973
Eine Gruppe von 27 Abgeordneten der SPD-Fraktion bringt das in einigen Einzelheiten veränderte Indikationenmodell der Bundesregierung als Initiativantrag im Parlament ein.

11.5.1973
Die Fraktion der CDU/CSU legt ihren Entwurf einer Indikationenregelung vor. Abweichend von den 27 SPD-Abgeordneten werden nur zwei Indikationen anerkannt: die medizinische und die ethische (kriminologische) Indikation. Bei besonderer Bedrängnis der Schwangeren kann der Richter von Strafe absehen.

15.5.1973
Eine Gruppe von CDU/CSU-Abgeordneten legt einen weiteren Entwurf vor. Nur die medizinische Indikation wird anerkannt. Im übrigen kann der Richter im Einzelfall von der Strafe absehen.

26.4.1974
Die Fristenregelung wird in 3. Lesung angenommen.

18.6.1974
Der Bundespräsident unterzeichnet das Gesetz (5. Gesetz zur Reform des Strafrechts - 5. StrRG).

19.6.1974
Die Landesregierung von Baden-Württemberg beantragt beim Bundesverfassungsgericht, das Inkrafttreten des Gesetzes durch eine einstweilige Anordnung hinauszuschieben, bis über die Verfassungsbeschwerde entschieden ist.

21.6.1974
Das Gesetz wird im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.
193 Mitglieder der Bundestagsfraktion der CDU/CSU erheben Verfassungsbeschwerde.
Das Bundesverfassungsgericht ordnet an, daß die umstrittenen Teile des Gesetzes vorerst nicht in Kraft treten dürfen.

3.7.1974
Die Landesregierung von Baden-Württemberg erhebt ebenfalls Verfassungsbeschwerde. Bayern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und das Saarland schließen sich an.

25.2.1975
1 Fristenregelungsurteil: Das Bundesverfassungsgericht erklärt diejenigen Teile des Gesetzes, welche die "Fristenregelung" enthalten für grundgesetzwidrig. In einer einstweiligen Anordnung wird bis zum Inkrafttreten einer neuen Regelung verfügt, daß der Schwangerschaftsabbruch straflos bleibt, sofern er nach Beratung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird, und wenn eine medizinische, eugenische, kriminologische oder soziale Indikation vorliegt.

8.10.1975
Die Fraktionen von SPD und F.D.P. legen im Bundestag ihren neuen Gesetzentwurf vor. Der Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt bleibt straflos, wenn die Frau zustimmt, nachdem sie in sozialer und ärztlicher Hinsicht beraten wurde und ein anderer Arzt festgestellt hat, ob eine der vier Indikationen vorliegt (medizinische, ethische/kriminologische, eugenische oder Notlagenindikation)

12.2.1976
Der Deutsche Bundestag verabschiedet den Entwurf der Fraktionen von SPD und F.D.P. in 2. und 3. Lesung (Indikationenmodell)

18.5.1976
Nach Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat und Zurückweisung der Einsprüche des Bundesrats durch den Bundestag tritt das 15. Strafrechtsänderungsgesetz (15. StÄG) in Kraft.

28.2.1990
Normenkontrollklage Bayerns hinsichtlich des § 218 b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 und des § 219 Abs. 1 Satz 1 StGB i.d.F. des 15. StÄG und der §§ 200 f, 200 g RVO, soweit sie Schwangerschaftsabbrüche aufgrund der allgemeinen Notlagenindikation (§ 218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB i. d. F. des 15. StÄG) betreffen.

1990
Art. 31 Abs. 4 Einigungsvertrag vom 31.8.1990 weist dem gesamtdeutschen Gesetzgeber die Aufgabe zu bis spätestens 31.12.1992 eine den Schutz vorgeburtlichen Lebens und die verfassungskonforme Bewältigung von Konfliktsituationen schwangerer Frauen verbessernde Neuregelung zu erarbeiten. Bis dahin bleiben die im Beitrittsgebiet geltenden verfassungswidrigen Bestimmungen über den Schwangerschaftsabbruch in Kraft.

26.6.1992
Der Bundestag verabschiedet nach einem 16stündigen Verhandlungsmarathon ein Modell, das eine Art Fristenlösung mit Beratungspflicht vorsieht. Es löst das Indikationsmodell im Westen und das totale Fristenmodell im Osten ab.

27.7.1992
Schwangeren- und Familienhilfegesetz (SFHG)
Vorschriften u.a.: Durch § 218 a Abs. 1 StGB i. d. F. des SFHG (Art. 13) wird eine rechtfertigende Fristenregelung mit Beratungspflicht eingeführt.

14.7.1992
Antrag der Bayerischen Staatsregierung und 248 Abgeordneten des Deutschen Bundestags bis zur Entscheidung über einen noch zu stellenden Normenkontrollantrag das Inkrafttreten des SFHG aufzuschieben.

4.8.1992
Einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts mit der das Inkrafttreten des SFHG ausgesetzt wird; die §§ 218 ff StGB bisherige Fassung werden für vorläufig weiter anwendbar erklärt.

25.1.1993
Wiederholung der einstweiligen Anordnung durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts.




3. Beratungskonzept

28.5.1993
2. Fristenregelungsurteil: Das Bundesverfassungsgericht erklärt für nichtig: § 218 a Abs. 1 und § 219 StGB i. d. F. des SFHG, Art. 15 Nr. 2 SFHG, soweit darin die Bundesstatistik für Schwangerschaftsabbrüche aufgehoben wurde, Art. 4 des 5. StrRG i. d. F. des Art. 15 Nr. 2 SFHG, soweit die Vorschrift die obersten Landesbehörden verpflichtete;
für verfassungskonform werden erklärt: § 24 b SGB V, ebenso die §§ 200 f, 200 g RVO i. d. F. des StREG, soweit die Vorschriften Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei Schwangerschaftsabbrüchen nach § 218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB i. d. F. des 15. StÄG vorsahen.

21.8.1995
Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG)




4. Der bayerische Sonderweg

31.7.1996
Mit dem Stimmen der CSU gegen die Opposition verschärft der Bayerische Landtag nach einem beispiellosen Verhandlungsmarathon (über 200 Stunden; über 3000 Seiten Protokoll) das Bundesrecht durch zwei Gesetze.
Im Bayerischen Schwangerenberatungsgesetz werden u.a. Frauen dazu verpflichtet, in der Beratung ihre Gründe für den Schwangerschaftsabbruch zu nennen und den Beratungsstellen werden eine Reihe von Auflagen erteilt (z.B. Verbot der Weitergabe von Ärzte-/Krankenhausadressen, die Abbrüche vornehmen).
Im Bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetz ("Ärztegesetz") BaySchwHEG wird geregelt, daß z.B. Ärzte höchsten 25 Prozent ihres Einkommens aus Abbrüchen beziehen und nur Gynokologen Abbrüche vornehmen dürfen.

27.5.1997
Auf Antrag der Bayerischen Staatsregierung findet zur Verfassungsbeschwerde der Ärzte Freudemann und Stapf eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe statt.
Dabei werden zwei Punkte deutlich: Das BVerfG besteht auf der Einhaltung einer flächendeckenden, wohnortnahen Versorgung mit (ambulanten) Abbruchmöglichkeiten nach Bundesgesetz. Das zuständige bayerische Sozialministerium kann die Flächendeckung nicht einmal für stationäre Behandlung (in Krankenhäusern) nachweisen. Bis zu diesem Zeitpunkt liegen 14 Zulassungsanträge von Ärzten vor, von denen nur 7 nach BaySchwHEG zulassungsfähig sind.

24.6.1997
In der Verfassungsbeschwerde der Ärzte Freudemann und Stapf ergeht vom Bundesverfassungsgericht die beantragte einstweilige Anordnung zum Ärztegesetz (BaySchwHEG).
Sie umfaßt im wesentlichen zwei Punkte: Für Ärzte, deren Einnahmen aus Abbrüchen im Jahr 1996 mehr als ein Viertel betrugen sowie solche, die vor dem 9.8.96 Abbrüche vornahmen und keine Gynokologen waren (trifft nur für Stapf zu), sind die jeweiligen Gesetzesbestimmungen bis zur Hauptsacheentscheidung, längstens für sechs Monate (kann verlängert werden) ausgesetzt.

27.10.1998
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über die Verfassungsbeschwerde der Ärzte Freudemann und Stapf und erklärt das bayerische Ärtzegesetz in seinen wesentlichen Bestandteilen für ungültig (z.B. bei Beschränkung der Einnahmen, Sankitionen, etc.). Neben den für die Zulassung v.a. von ambulanten Abbruchpraxen wichtigen Punkten wird im Urteil auch auf die Unzulässigkeit der Zwangsberatung von Frauen eingegangen. (Das Urteil ist abrufbar unter (Urteil 27.10.98 in WinWord 6.0))

20.11.1999
Papst Johannes Paul II. erklärt die bisherige katholische Schwangerenkonfliktberatung mit Ausstellung eines Beratungsscheins nach § 218/219 für unvereinbar mit der Kirche und erzwingt deren Ausstieg aus dem staatlichen Beratungskonzept. Der Brief setzt den Schlußpunkt unter eine monatliche Auseinandersetzung um die katholischen Beratungsstellen, die von rechtskonservativen Bischöfen erzwungen wurde. (Siehe hierzu auch (Zeittafel 1999))

München, den 31.12.1999
Monica Lochner-Fischer, MdL
Beate Büttner, juristische Referentin der SPD-Landtagsfraktion



wieder nach oben